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Culture Clash im Wald

SUPERGLITZER: Sprachkünstlerin trifft krasse Farbpalette. Und das im Wald!?

SUPERGLITZER: Sprachkünstlerin trifft krasse Farbpalette. Ausgerechnet im Wald!? Der Wald ist ja (unter anderem) mit dem eher Wort ‚Nachhaltigkeit‘ beschwert. Das neue Bilderbuch von Melanie Laibl und Nele Brönner enthält eine gehörige Portion Irritationspotenzial, das diese Schwere aufwirbelt. Ein „superglitzriges Frage-Antwort-Ping-Pong“ mit Melanie Laibl gibt darüber Auskunft.

Elster, Maulwurf, Fuchs, Ameise – das ist ein „klassisches“ Personal in einer Geschichte, die in einem europäischen Wald spielt. Trotzdem die Frage: Warum hast du gerade diese Tiere zu den Held*innen der Geschichte gemacht? Und warum tragen sie nur vereinzelt Eigennamen?

Melanie Laibl: Die Grundidee von „Superglitzer“ ist das Aufeinandertreffen einer tierischen Community und einem menschengemachten Ding. Ein Culture Clash, wie er überall dort stattfinden kann, wo sich Natur und Kultur überschneiden. Im ländlichen Waldstück genauso wie im städtischen Park oder in einer wilden Ecke im Hinterhof. Beim „Casting“ für mein Geschichtenpersonal waren also Tiere gefragt, die in der freien Natur genauso vertreten sind wie als Kulturfolger im urbanen Raum.

Außerdem haben mich klassische Zuschreibungen interessiert, mit denen wir Menschen Tiere bedenken. Die diebische Elster, der eigenbrötlerische Maulwurf, der schlaue Fuchs, die organisierte Ameise, das fleißige Eichhörnchen … Ich fand es spannend, manche Tiere ihre zugedachten Rollen spielen zu lassen und andere wenig rollenkonform einzusetzen. So ist der Fuchs nicht wirklich eine Leuchte. Und der Mensch, der das Ding (übrigens ein Smartphone) verliert, alles andere als das Alphatier der Schöpfung. Die Zuschreibung, die ihm die Waldbewohner*innen geben, ist die eines „Trampeltiers“ – eines ungehobelten und unsensiblen Eindringlings in ihren Bereich.

Es findet also einerseits ein Perspektivenwechsel statt, andererseits bedienen sich die Tiere in einem überraschend menschlichen Handlungsrepertoire. Etwa, als die Elster dem Ding vor lauter Zuneigung einen Eigennamen geben will. Auch die Ameisen tragen Namen, da gibt es beispielsweise eine Helga – vielleicht zur Unterscheidung der einzelnen Ameise inmitten des Superorganismus Ameisenstaat? Elster, Fuchs und Maulwurf hingegen bleiben bewusst generisch, um das Rollenbild zu verstärken, das wir Trampeltiere für sie vorgesehen haben.

Als die Elster das glitzernde Handy im Wald findet und mit Fuchs und Maulwurf zusammen erkundet, halten die drei das unbekannte Ding für ein Tier. Die Ameisen dagegen sind die Checker, wie es scheint – die wissen Bescheid, was die Menschen mit dem Ding machen. Wieso gerade die Ameisen? Und woher ihre Vertrautheit mit den Menschen und ihrem Tun?

Melanie Laibl: In der Geschichte ist mehrmals davon die Rede, dass „Ameisen alles können“. Diese Behauptung aus Insektenmund kommt nicht von ungefähr, wie der aktuelle Stand der zoologischen Forschung eindrucksvoll belegt. Dass die Ameisen in der Geschichte das Ding erfolgreich auschecken, bis hin zum Knacken des PINs, hängt mit ihrer Präsenz im menschlichen Lebensraum zusammen. Einmal im menschlichen Wohnbereich etabliert, erweist sich so eine Ameisenstraße bekanntlich als äußerst beständig. Da kriegt man als Insekt schon einiges mit vom Trampeltier-Leben. Zitat: „Der Ameisentrupp kam viel rum und kannte sich aus.“

Bildlich ist die Geschichte wie ein Comic gestaltet – und in schrillen Farbtönungen von Grün, Hellrot, Neonorange, kombiniert mit Schwarz/Dunkelviolett. Warum hat Nele Brönner ausgerechnet in diese Farbtöpfe gegriffen? Und wie kommt Bewegung in diese Panels?

Melanie Laibl: Ursprünglich war die Geschichte als klassischer Bilderbuchtext angelegt, von Beginn an mit einem starken Hang zu direkten Reden. Mit Nele Brönner kam die Idee ins Spiel, die ausformulierten Szenen und Dialoge in einen Comic zu verwandeln, was sich in meinen Augen als absoluter Glücksgriff erwiesen hat. Auch die – um mit der Elster zu sprechen „krasse“ – Farbpalette ist ganz klar Neles Handschrift. Ihr großartiges Bilderbuch „Begel der Egel“, ebenfalls bei Luftschacht erschienen, ist auch so ein Traum in reinen Pantonefarben. Für „Superglitzer“ hat Nele mit vier Farbtönen gearbeitet, die alleinstehend und übereinandergelegt den Wald so richtig zum Knallen bringen. So ergibt sich zum inhaltlichen Perspektivenwechsel zusätzlich ein bildlicher. Dazu hält sich Nele an keine starre Panelstruktur, sondern variiert sehr frei mit Dimensionen und Rahmen.

Wie im Comic sind Geräusche durch Worte wiedergegeben: klopf klopf, kratz kratz, wisch wisch. Ist diese Analogie zu unserem Umgang mit dem Handy nicht ein wenig zu offensichtlich?

„Klopfen, Kratzen und Wischen: Für uns waren dies bekannte Verhaltensweisen aus der Tierwelt.“

Melanie Laibl: Dass sich die Ameisen-Anführerin aktivierend den Körper abklopft oder dass der Fuchs gegen sein quälendes Felljucken ankratzt oder sich mal lässig was von der Schulter wischt, ist eigentlich nicht als Analogie zum menschlichen Hantieren mit dem Handy gedacht. Für uns waren dies bekannte Verhaltensweisen aus der Tierwelt. Aber es ist ein spannender Gedanke, dass dieses Klopfen, Kratzen und Wischen auch anders gelesen werden kann. In einer Szene jedoch wischen die Tiere tatsächlich nach Vorbild der „Trampeltiere“, damit das Handy die gewünschten Aktionen setzt bzw. Informationen ausspuckt.

In dieser Geschichte gibt es auch sprechende Pilze, und Blätter mit Armen und Beinen. Welche neue Perspektive auf „Natur“ als kulturelles Konstrukt wolltest du hier eröffnen?

Melanie Laibl: Im Bilderbuchtext, der dem Comic zugrunde liegt, gab es diese wertvollen Nebendarsteller*innen noch nicht. Sie sind im Gepäck von Neles Bearbeitung mitgekommen und gehören mittlerweile zu unseren gemeinsamen Lieblingen.

Nele hat sie als „Echoräume“ für die Waldbewohner*innen konzipiert. Durch ihren reduzierten Wortschatz und dadurch, dass sie von den Ameisen auch mal heftig zur Ordnung gerufen werden, scheinen sich die Pilze, Blätter und Baumsamen den tierischen Waldbewohner*innen unterzuordnen. Allerdings nur, bis bei allen die Riesenlust auf Pizza geweckt wird.

Jede Geschichte hat ihre Geschichte. Wie ist diese Geschichte zu dir gekommen? Wie ist dieses besondere Buch entstanden? Wie war deine Zusammenarbeit mit der Illustratorin? Wie groß und klein sind die Leser*innen, die du ihm wünschst?

„Sehr gerne stelle ich mir zu meinem Blick in den Wald einen Gegenblick aus dem Wald vor.“

Melanie Laibl: Ich liebe Waldspaziergänge. Das Wandeln zwischen und unter Bäumen wirkt auf mich gleichermaßen entspannend und inspirierend. Wenn ich unter das Blätterdach tauche, bin ich mir aber auch immer sehr bewusst, dass ich mitten ins Wohnzimmer der dortigen Tier- und Pflanzenwelt spaziere. Als Gast mit hoffentlich ausreichend respektvollem Benehmen. Sehr gerne stelle ich mir dann zu meinem Blick in den Wald einen Gegenblick aus dem Wald vor. Mit „Superglitzer“ habe ich einen solchen gemeinsam mit Nele zu Papier gebracht. Das war für uns beide eine schöne und auch ganz neue Erfahrung. Nele hat ihre Bücher bis dato ja in Eigenregie gemacht, also geschrieben und gezeichnet. Und für mich war es aufregend, meinen Text in Sprechblasen serviert zu bekommen, mit allerhand Sahnehäubchen versehen. Zudem sind Nele und ich beide ziemliche Tüftlerinnen mit Lust am Diskutieren über jedes noch so klein scheinende Detail. Es war beglückend, jeden Ausruf, jedes Soundwort auf seine Richtigkeit zu prüfen.

Und jetzt, wo das Buch in seiner ganzen Schrillheit und Skurrilität vor uns liegt, hoffen wir natürlich, dass der Funke zu unseren Leser*innen überspringt. Ab dem Lesealter von fünf Jahren sollte das ganz gut gelingen. Nach oben ist wie fast immer alles offen.